Aus der Geschichte von Reinsbronn: Die "Reinsproner Dorffßordtnung von 1665"
Heinrich Wolfgang Geyer sorgte für einen Hauch Humanismus
Von unserer Mitarbeiterin Barbara Pfundt-Tittelbach
Reinsbronn. Heinrich Wolfgang Geyer von Giebelstadt, Herr zu Reinsbronn, Goldbach, Neunkirchen, Ingelstadt und Giebelstadt, weilte von 1656 bis 1659 in Straßburg, um dort die Universität zu besuchen. Nach seiner Rückkehr ging er daran, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in seinem umfangreichen territorialen Besitztum zu ordnen.
1665 erteilte er seinem Dorf Reinsbronn, eine bemerkenswerte Dorfordnung. Bemerkenswert ist sie deshalb, weil Geyer sich darin an die Christen in einer Weise wendet, als ob sie in der Minderheit wären und als solche, durch vorbildliches Betragen, kein Ärgernis erregen sollten.
Unter dem Absatz "Von Heiligung des Sabbathß" versuchte er, den Umgang zwischen Christen und Juden und den Umgang mit den Geboten der jeweiligen Religionen zu regeln.
Nach Ermahnungen, dass nicht nur die Einwohner (d.h. Familienvorstände) an Sonn- und Feiertagen, wie auch an anderen Werktagen, selbst fleißig die Predigten, Kinderlehre und Betstunden besuchen, sondern auch ihre Ehefrauen und Kinder dazu anhalten sollen, fordert er sie auf, dass sie Sonn- und Feiertage nicht mit unnötigen Arbeiten verbringen und mit Juden handeln mögen, und dadurch den Juden Anlass geben "unser Christentum zu lästern" (1*). Er gesteht also den Juden das Recht zu, die Handlungen der Christen kritisch zu betrachten. Er erachtet ihre Kritik als beachtenswert.
Die Juden hingegen fordert er auf, an christlichen Sonn- und Festtagen keine Hantierung zu betreiben, sondern an solchen, sowohl wie an ihrem Sabbat, dasselbe zu unterlassen. Es lag ihm anscheinend daran, innerhalb des Dorfes, zwischen Juden und Christen eine gegenseitige Anerkennung aufzubauen und auch bei den Juden, obwohl sie zeitweise viel Grausamkeit von den Christen zu erdulden hatten, Achtung vor dem Christentum zu wecken.
In einer Veröffentlichung der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden Württemberg, in der Karl und Marianne Schumann ca. 116 hohenlohische Dorfordnungen aus der Zeit vom 16. bis zum 18. Jahrhundert bearbeitet und untersucht haben, werden Juden nur in zwei Dörfern, dort aber sehr geringschätzig erwähnt.
Im Deutsch-Ordischen Ailringen wird in der Dorfordnung den Christen 2 Gulden Strafe angedroht, falls sie einen anderen Christen einen "Juden" schimpfen sollten. Daneben werden aber auch die "Heiden, Türken oder Ketzer" als schimpfliche Bezeichnungen aufgeführt.
In Unterregenbach führt eine "Allgemeine Gemeindeordnung für das Land Langenburg" unter Punkt 23 - "Von Juden" folgendes aus: "Nachdem auch mäniglichen unverborgen, welchermaßen die nagenden und schädlichen Würmb, die Juden, dem gemeinen Nutzen beschwerlich, die Armen mit ihrem schändlichen Gesuch und Wucher wieder Gottes Befelch und Ordnung in Verderben und Sterben richten; derohalben soll auch Ambtsverwandten allen hiermit ganz ernstlich bevohlen sein, bey den Juden oder Jüdin nichts zu entlehnen, uff Borgs zu kaufen, noch in ander Weeg mit ihnen zu Hantieren oder in einigen wucherlichen Handeln einlassen, es sey uff Merkten, zu Hauß oder anderstwo, auch keiner den Juden oder Jüdin weder Kleider, Kleinot, Hausrat oder ander dergleichen fahrende Habe, pfandweiß versetzen, darzu auch keiner, er sey auch, wer er wolle, für kein Untertanen gegen den Juden oder Jüdin Bürg oder Schuldner werden oder einig Unterpfand für ihn einsetzen soll, alles bey der Herrschaft höchster Straf" (2*).
Kurz zusammengefasst: die Juden werden in der Dorfordnung als "schädliche nagende Würmer" beschimpft, die durch schändlichen Wucher die "armen Christen" ins Verderben und Sterben stürzen.
Dass unter solchen Voraussetzungen schon von vornherein ein Dorffrieden schief hängen muss, ist wohl nicht zu vermeiden.
An dasselbe Problem, aber auf ganz andere Weise, geht Heinrich Wolfgang von Geyer zu Giebelstadt in seiner Dorfordnung von 1665 heran: Unter Punkt 10 "Von allerley Gemein Punkten" heißt es: "Sintemalen auch bißhero beschehen, dass mancher underthan durch ohnnöthiges handeln, sowohl bey Juden als Christen, auch Spielen, und übermäßiges Trinken sich dergestalt in Schulden gesteckhet, dass er solche zuebezahlen nicht mehr vermöcht sondern hernach seine güther verkauffen und mit leerer handt davon gehen müssen, deme nun vorzubauen auch allerhand ohngelegenheit, und verdrießliches klagen zu hindertreiben, wird der Jenige so noch mit Schulden behafftet, an befholen, von nun ahn, so viel immer möglich, solche abzustatten. Allem aber ins gesambt hinführo von dergleichen ohngebühr abzustehen. Ihre Nahrung durch fleißige Ihnen geziemende Arbeit und handtierung zu suchen und in mehrschulden, als sie Ihnen getrauen zu bezahlen, sich nicht einzulassen, wo sie aber auß hochtringender noth einige schulden machen müssen, iedesmahls der herrschaffth zue vor anzeigen, bey vermeidung herschafftlicher hoher Straff." (1*)
Diese Vorgaben lassen auf eine große Fürsorge, profunde Kenntnis der Menschen und auf großes Interesse an den Menschen beider Religionen schließen.
Heinrich Wolffgang Geyer von Giebelstadt sieht hinter dem Borgen und sich Ruinieren nicht die Raffgier der Juden stehen, sondern den Charakter und das unvernünftige Handeln des einzelnen Menschen. Er spricht von unnötigem Handeln sowohl bei Juden als auch Christen. Er bezieht hier eine Haltung, die Gleichbehandlung und Gerechtigkeit anstrebt und eigentlich erst ab der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts durch das Zusammentreffen von Aufklärung und Emanzipation der Stände und der Juden in Deutschland zum tragen kommt.
Was hat Geyer veranlasst, schon 1665 diese Haltung einzunehmen? Heinrich Wolfgang Geyer wurde am 17. Dezember 1640 geboren, nachdem sein Vater, Wolfgang Heinrich Geyer, bereits am 7. April 1640 verstorben war. Seine Mutter, Johanne Agathe Senftin von Suhlburg, konnte nur mit Mühe verhindern, dass die nun ledigen Güter von den Lehensherren, den Herren von Hohenlohe, eingezogen wurden und somit ihrem Sohn verloren gingen. Sie, als Mutter, sowie Georg Schweikhard von Gemmingen und Valentin Heinrich von Ellrichshausen waren danach gemeinschaftlich seine Vormünder.
Von Böcklers Ideen "infiziert"
1656 wurde Heinrich Wolfgang Geyer nach Straßburg geschickt, wo er bis 1659 an der Universität zu Straßburg bei dem berühmten Johann Heinrich Böckler, (1611-1672), und anderen namhaften Professoren Mathematik, Geschichte, Politik, Staats- und Rechtswissenschaft studierte. Er machte hierin schöne Fortschritte, was die Mutter und die übrigen nahen Anverwandten sehr erfreute und ihm bei der Übernahme der anscheinend recht schwierigen Verwaltung seiner Güter äußerst hilfreich war.
H.W. Geyer besuchte nicht nur die öffentlichen Vorlesungen von Professor Böckler, sondern war auch Privatschüler im Haus Böcklers selbst. Johann Heinrich Böckler, 1611 in Cronheim bei Gunzenhausen geboren, wurde schon mit 26 Jahren Professor an der Universität zu Straßburg. Sie war ein Zentrum der humanistischen Lehre und der Aufklärung. Böckler soll zu den beliebtesten und sprachgewandtesten Professoren gezählt haben.
Der Franzose Michaud bezeichnete Böckler in seinem Gelehrten-Lexikon "Biographie Universelle" von 1854, als einen der gelehrtesten Männer seiner Zeit, die Deutschland bezüglich der griechischen, lateinischen und hebräischen Literatur, der Geschichte, der politischen Theorie und des Staatsrechts je hervorgebracht habe. Kurioserweise wird die hebräische Literatur kaum in einem späteren Gelehrten-Lexikon erwähnt.
Böckler wurde 1648 von der schwedischen Königin Christine an die Universität Upsala berufen, musste jedoch aus Gesundheitsgründen 1652 das raue Klima Schwedens wieder verlassen.
Es war wohl hauptsächlich dort, wo er auf das Werk von Grotius (1583-1645) gestoßen ist, der vor ihm ebenfalls in schwedischen Diensten stand und dessen außergewöhnlich reiche Bibliothek, sowie seine Manuskripte 1648 von Königin Christine erworben wurden. Zurück in Straßburg ernannte ihn der Mainzer Kurfürst Johann Philipp von Schönborn 1662 zu seinem Rat. Das Jahr darauf erwies ihm Kaiser Ferdinand III dieselbe Ehre und verlieh ihm den Erbtitel eines Pfalzgrafen. Auch Louis XIV soll ihn reich begabt und mit einer ständigen Pension versehen haben, was anscheinend den Unwillen des Wiener Hofs hervorrief.
Böckler galt als äußerst bescheiden, ernst, arbeitsam und tolerant. Er soll nie fremden Ruf verletzt haben. Sogar am Feind lobte er die guten Seiten.
Zu seinen über 124 meist posthumen Veröffentlichungen, gehört auch einer der ersten Kommentare zum Werk von Hugo Grotius "Das Recht im Krieg und im Frieden", das letzterem den Ruf eintrug, neben dem Jesuiten Suarez, Begründer der Staat- und Völkerrechtslehre zu sein. Grotius war ein brillianter niederländischer Jurist und Staatsphilosoph (1583-1645). Er gilt als einer der wichtigsten Wegbereiter der Aufklärung.
Böckler war begeisterter Anhänger von Grotius. Obwohl sein Kommentar zu dessen Werk als etwas schwach gilt, hat Böckler, in seiner berühmten mitreißenden Vortragsweise, Grotius' Ideen an seine Studenten herangetragen und diese zu weiterem Studium angeregt. Auch für Geyer von Giebelstadt hat wohl auf diese Weise eine Auseinandersetzung mit Grotius Ideen stattgefunden.
Zurück in seiner Heimat, und nur 25 Jahre alt, war Heinrich Wolfgang Geyer mit der Aufgabe konfrontiert, die jahrelang vernachlässigte Verwaltung seiner Güter neu zu regeln und anhand von erneuerten Dorfordnungen das Leben innerhalb der Gemeinden vernünftig zu gestalten.
So hat haben Humanismus und Aufklärung, die Suche nach Gleichbehandlung und Gerechtigkeit ihren Niederschlag in der Reinsbronner Dorfordnung gefunden, und auch die Goldbacher Dorfordnung maßgeblich beinflußt.
Quellen:
1* Stal. B 70 a S B25.
2* Veröffentlichung der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden Württemberg, Reihe A, aus dem Jahre 1985, Kohlhammer Verlag in der Karl und Marianne Schumann.
Jirgal, Ernst: Heinrich Böckler (1611-1672) in Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 45 (1931) 322-386.
Wilhelm Benkert: Beiträge zur Geschichte der Marktgemeinde Giebelstadt, 1970, Selbstverlag der Marktgemeine Giebelstadt.
Hans Joachim König: Goldbach, Seine Bürger, Bauern und Ritter, 1983, Hohenloher Druck und Verlagshaus Crailsheim.
Beschreibung des Oberamt Mergentheim, Stuttgart, W. Kohlhammer. 1880. Barbara Pfundt-Tittelbach ist Vorsitzende des Kultur- und Heimatvereins Creglingen.
Fränkische Nachrichten
04. Oktober 2008
04. Oktober 2008