Loading...

Für Seele und Körper


Musik und Singen in der Bedeutung für Seele und Körper
von Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Rolf Verres 
Schon als Kind haben mich meine Eltern musikalisch gefördert. Es begann damit, dass eine große 
Musikbox mit alten Schellack-Platten aus den Jugendjahren meiner Eltern im Wohnzimmer stand. 
Diese Musik klang vorwiegend heiter und sie zog mich an.  
Mein Vater spielte manchmal auf dem Klavier, das für meinen Klavierunterricht angeschafft wurde, 
schöne, entspannende Melodien.  
Meine Mutter ging jeden Montag zur Chorprobe und nahm mich zu den Aufführungen des Städtischen 
Musikvereins mit.  
Ich vergesse nie das erste Konzert, das ich in der  Coesfelder Stadthalle erlebte.  Elly Ney spielte 
Werke von Ludwig van Beethoven, und wir Kinder durften auf der Bühne auf dem Boden sitzend 
zuhören. Von dieser wunderbaren Pianistin mit ihrem schlohweißen Haar ging eine magische, 
suggestive Wirkung aus.  
Ich spürte unmittelbar, dass es einen großen Unterschied zwischen Konservenmusik und Lifemusik 
gibt: Es sind Menschen, die Musik machen, und die direkte Resonanz zwischen Musikern und 
Zuhörern kann Gefühle auslösen, die ich bis dahin nicht gekannt hatte.  
Meine Klavierlehrerin, Lotte Connor, war wie eine zweite Mutter zu mir. Zwei Mal in der Woche ging 
ich 8 Jahre lang zu ihr, und ich konnte mit ihr über alles sprechen, was mich bewegte. Diese 
begnadete Musikpädagogin verstand es gut, dass man gute Musik nur machen kann, wenn man mit 
sich selbst einigermaßen im Reinen ist, und insofern gehörten auch die persönlichen Gespräche, z. B. 
über Sorgen in der Schule, zu ihrem Konzept. Am schönsten war es, wenn sie mir, nur für mich, vor 
der Erarbeitung eines neuen Klavierstückes ein Privatkonzert gab und mir das neue Stück erst einmal 
ganz vorspielte.  
Auch denke ich gerne an die Szenen zurück, als ich gemeinsam mit Lotte Connor auf dem Boden 
sitzend Klavierinterpretationen großer Meister vom Anfang bis zum Ende einfach nur anhörte. 
In der St. Lamberti-Kirche erlebte ich schon als Kind - auch als Messdiener - die heilsame Wirkung 
von Musik im Zusammenhang mit der Liturgie: das Orgelspiel und die gregorianischen Gesänge mit 
Wilhelm Bäumer lockten mich in andere Welten. Die sakrale Musik ist in meinem weiteren Leben 
immer wichtiger geworden. 
Ein unvergesslicher Höhepunkt war das erste Erleben des "Hallelujah" bei der Aufführung des 
"Messias" von Händel durch den Städtischen Musikverein. Meine Begeisterung kannte keine Grenzen, 
und ich war glücklich, dies um so mehr, als meine Mutter als Sängerin dabei war.  
Besonders schön war es auch, dass auswärtige Solisten bei Konzerten bei uns zu Hause 
untergebracht waren und ich auf diese Weise berühmte Musiker und Musikerinnen persönlich 
kennenlernen konnte. Dadurch wurde die Distanz zwischen Publikum und Bühnenstars verringert, und 
ich konnte eine seelische Nähe spüren, z. B. wenn eine Sängerin vor ihrem Auftritt voller 
Lampenfieber in unserem Gästezimmer übte und dabei natürlich auch Schwächen zeigte, die man auf 
der Bühne weniger erlebte.  
Erst später verstand ich die Botschaft des Dirigenten Sergiu Celibidache, er wolle die Menschen daran 
teilhaben lassen, wie Musik entsteht. Aus diesem Grunde hat er ja viele Jahre lang Schallplattenaufnahmen der von ihm dirigierten Aufführungen untersagt.  
Klassik und Pop Da ich gebeten wurde einen Beitrag über Musik und Singen in ihrer Bedeutung für 
Seele und Körper beizusteuern, möchte ich noch erwähnen, dass mich schon von Kindheit an der 
Unterschied zwischen Popmusik und klassischer Musik fasziniert hat. Neben der klassischen Musik, 
die in letztlich spirituelle Sphären der menschlichen Existenz hineinführen kann, sollte auch die 
Bedeutung der Popmusik für die seelische Gesundheit nicht unterschätzt werden. Wenn während meiner Grundschulzeit der Klassenlehrer zum Tagesbeginn erst mal Volkslieder wie 
„Im Frühtau zu Berge“ anstimmte, spürte ich ganzheitlich den Unterschied zwischen Dösen und 
Wachsein. Als Jugendlicher habe ich es sehr genossen, dass am Heiligen Abend und am ersten 
Weihnachtstag natürlich Weihnachtslieder und klassische Musik auf dem Programm standen (meine 
Schwester Monika und ich haben für unsere Eltern am Heiligen Abend sehr gern ein musikalisches 
Programm gestaltet, bei dem auch gemeinsam gesungen wurde) - am zweiten Weihnachtstag 
machten wir Jugendlichen dann unser eigenes Fest mit wilder Popmusik z. B. von den Beatles und 
Rolling Stones, und wir genossen es gemeinsam, dass es noch eine eigene Welt der Jugendlichen 
gab, die für die Erwachsenen nicht nachvollziehbar war.  
Musik kann zur Findung einer eigenen Identität sehr wichtig werden. Dazu ist es notwendig, dass die 
Musikpädagogen die jungen Menschen nicht nur an die etablierte Musikkultur der Erwachsenen 
heranzuführen versuchen, sondern auch Freiräume für  eigenes Entdecken musikalischer 
Ausdrucksmöglichkeiten schaffen. Als ich 16 Jahre alt war, kam mein "Fähnleinführer" (so hieß es 
damals) beim pfadfinderähnlichen Bund Neudeutschland, auf die Idee, eine Rhythm-and-Blues-Band 
zu gründen: "The Gate Ghosts".  
Wir begannen mit einem alten Radio, das wir als Verstärker benutzten, meine Eltern ermöglichten mir 
die Anschaffung einer Bassgitarre, und nach einigem Üben wurden wir ziemlich erfolgreich mit wilder, 
aber auch zärtlicher Musik zum Tanzen, vor allem in  der Stadthalle. Einige Lehrer am Gymnasium 
beäugten unser Treiben mit größter Skepsis, hatten wir doch damit begonnen, mit Tanztees im Foyer 
des Gymnasiums, bei denen auch geschmust wurde, und hier erlebte ich erstmals einige 
Beziehungen zwischen Musik und Erotik. Der Schuldirektor unterstützte jedoch unsere Aktivitäten, und 
ich bin ihm dafür heute noch dankbar. Insofern glaube ich, dass auch die Dankbarkeit zu den 
segensreichen seelischen Wirkungen von Musik gehört. Dankbarkeit kann uns oft auch dann mit dem 
Leben versöhnen, wenn es uns schlecht geht.
Resonanz Die Beziehung zwischen den aktiven Musikern und dem Publikum ist als Resonanz 
beschreibbar. Resonanz bedeutet: im Einklang miteinander sein. Dies ist eine der wichtigsten 
zwischenmenschlichen Erfahrungen. Der Göttinger Molekularbiologe Friedrich Cramer hat hierzu ein 
außerordentlich interessantes Buch geschrieben: "Symphonie des Lebendigen - Versuch einer 
allgemeinen Resonanztheorie" (Inselverlag). Darin beschreibt er als Naturwissenschaftler und 
Philosoph, dass Resonanz das ist, was die Welt im Innersten zusammenhält. Letztendlich geht es in 
diesem Sinne darum, dass Musik dazu beitragen kann, sich in einem größeren Ganzen aufgehoben 
fühlen zu können.  
Harmonie und Dissonanz Natürlich ist hierbei auch die Dialektik von Harmonie und Dissonanz zu 
betrachten. Harmonie hat etwas Versöhnliches; Dissonanzen entsprechen vielleicht eher den 
Konfliktpotenzialen. Die Erfahrung, dass Dissonanzen nicht unbedingt in Richtung Harmonie aufgelöst 
werden müssen (wie z. B. vom Dominantseptakkord zur Tonika), sondern bewusst ausgestaltet und 
kultiviert werden können, hat ebenfalls viel mit seelischer Gesundheit zu tun. Eine für mich prägende 
Erfahrung in dieser Hinsicht war eine Aufführung des Städtischen Musikvereins eines Werkes von 
Heinrich Sutermeister mit für mich bisher ungewohnten Dissonanzen. Sie wurde als Schallplatte 
publiziert, aber leider hatte ich diese Schallplatte einmal versehentlich über der Heizung abgelegt, und 
sie verwandelte sich in eine Art Pfannekuchen. Ich  würde viel darum geben, diese Aufnahme 
wiederzufinden. Im Unterschied zu Sergiu Celibidache meine ich, dass auch die Dokumentation von 
Aufführungen zu den wertvollen Kulturgütern gehört, da sie die Erinnerung fördern kann. „Die 
Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können“, sagte Jean Paul. 
Die Erben von Celibidache haben übrigens inzwischen der Publikation von Tonaufnahmen der von 
ihm dirigierten Konzerte zugestimmt.  
Musiktherapie, Atmosphäre und Lebenskraft  In meinem Beruf als Arzt und Psychotherapeut am 
Heidelberger Universitätsklinikum hat in den letzten Jahren die Musiktherapie einen zentralen 
Stellenwert erlangt. An der von mir geleiteten Abteilung für Medizinische Psychologie sind zwei 
Musiktherapeutinnen und ein Musiktherapeut angestellt. Vom Bundesministerium für Bildung und 
Forschung sowie von der Deutschen Krebshilfe wurden wir großzügig unterstützt und konnten über 
100 Musikinstrumente aus allen Kontinenten anschaffen, um dazu beizutragen, dass unsere Klinik als 
ein kultureller Ort empfunden werden kann. Es geht  - etwas krass gesagt - um den Unterschied 
zwischen einer "Ingenieurmedizin für Körper ohne Seelen" zu einer Heilkunde, die den Menschen als 
ein kulturelles Wesen begreift und seinen Empfindungen gerecht wird.  
Wichtig ist dabei der Begriff der Atmosphäre. Wenn  Menschen spüren können, dass dort, wo ihr 
Leiden behandelt wird, eine Achtsamkeit für gute Atmosphäre lebendig ist, können sie sich besser aufgehoben fühlen. Musik wird also bei uns nicht wie ein Medikament zur Behandlung eingesetzt, 
sondern als eine Möglichkeit, sowohl für Patienten  als auch für Pflegende und Ärzte, sich der 
Tatsache bewusst zu werden, dass Heilkunst mit Kultur zu tun hat und dass dies spürbar sein sollte. 
Konkret kann dies z. B. bedeuten, dass bei uns in einem künstlerisch gestalteten Ambiente Patienten 
gemeinsam mit Therapeuten improvisieren.  
Schon als Schüler habe ich meine damaligen Musiklehrer immer wieder gebeten, uns Harmonielehre 
und eigene Gestaltungsmöglichkeiten von Musik beizubringen; ich stieß dabei aber auf taube Ohren. 
Statt dessen hatten wir Partituren von Symphonien zu studieren und Musikgeschichte zu lernen. 
Heute läuft das bei uns in der Heidelberger Medizinischen Psychologie beispielsweise so: wir laden zu 
einem Improvisationskonzert ein, bei dem zuerst gute Musiker Rhythmen vorgeben und dann 
Musikinstrumente aus aller Welt an das Publikum verteilen, z. B. Rasseln, Klangstäbe, Fußschellen, 
Schlitztrommeln, und das Publikum ist zum Mitmachen eingeladen. Sogar bei Großveranstaltungen, 
wie etwa in der Stadthalle Heidelberg beim Kongress für Biologische Krebsabwehr, wurde es möglich, 
ein Publikum von vielen hundert Menschen zum aktivem Musizieren und Improvisieren zu animieren, 
dies unter dem Titel "Lebenskräfte".  
Wenn sich so die Unterscheidung zwischen aktiven Musikern auf der Bühne und dem Publikum 
allmählich zugunsten eines gemeinsamen aktiven Musizieren mit gemeinsamem Singen auflöst, kann 
ein kollektives Erleben von Resonanz möglich werden, das für alle Beteiligten unvergesslich wird und 
zweifellos eine wichtige Wirkung für die seelische  Gesundheit hat, da man sich nicht nur passiv, 
sondern auch aktiv in einem größeren Ganzen aufgehoben fühlen kann. 
Aktuelle Forschungsthemen Inzwischen sind wir dabei, gemeinsam mit dem Mozarteum Salzburg 
und der Salzburger Arbeitsgruppe SaludArt ein  europaweites Krankenhausradio zu entwickeln. Per 
Satellit sollen von Musikwissenschaftlern und Musiktherapeuten sorgfältig ausgewählte Kompositionen 
24 Stunden lang ausgesendet werden und interessierten Krankenhäusern für die Patienten angeboten 
werden. Namhafte Forscher sorgen dafür, dass heilsame Musik zumindest per Kopfhörer auch an 
Menschen gelangen kann, die einsam sind und Resonanz brauchen.  
Ein aktuelles Forschungsprojekt bei uns ist der Beziehung zwischen Drogengebrauch und Musik 
gewidmet. Junge Menschen, die Drogen nehmen, sind im allgemeinen weder böse noch kriminell, 
sondern sie suchen zunächst nichts anderes als Grenzerfahrungen. Hierbei kann Musik eine 
ordnungsstiftende Bedeutung erlangen, wenn es darum geht, veränderte Bewusstseinszustände, die 
durch Drogen ausgelöst werden, in die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu integrieren. 
Horrortrips und kriminelles Verhalten sind die eine Seite, veränderte Bewusstseinszustände und sogar 
spirituelle Erfahrungen sind die andere Seite. An der Anthroposophischen Universität Witten-Herdecke 
hat Dr. Jörg Fachner eine mit summa cum laude bewertete Dissertation zur Beziehung zwischen 
Cannabis (Haschisch, Marihuana) und dem Musikhören  vorgelegt. Viele Jazz- und Popmusiker 
erleben Cannabis als intensivierend beim Musizieren, und letztlich kann es dabei genau um dasselbe 
Phänomen gehen, das ich beim ersten Erleben des "Hallelujah" von Händel hatte: 
Bewusstseinserweiterung. 
Auch in der Sterbebegleitung hat die Musiktherapie  einen wichtigen Stellenwert erlangt. Während 
meiner Jahre als Professor für Medizinische Psychologie in Hamburg (1987 - 1991) war ich sowohl 
Lehrbeauftragter an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater als auch Projektleiter eines 
Forschungsvorhabens über die psychologischen Aspekte der High Tech-Medizin (Verres und 
Klusmann: Strahlentherapie im Erleben der Patienten, J. W. Barth-Verlag 1997).  
In diesem Forschungsvorhaben war auch eine Musiktherapeutin 5 Jahre lang damit befasst, 
Möglichkeiten der Musiktherapie in der Strahlenheilkunde zu erkunden. Ihr Abschlußbericht im 
genannten Buch hat den Titel "Dona nobis pacem". Gegenüber dem Handlungsdruck in der an 
Machbarkeit orientierten Medizin sollte eine Gegenwelt aufgebaut werden, die zu innerem Frieden 
führen kann.  
Wenn eine Musiktherapeutin mit der Leier am Krankenbett sitzt und für einen schwerkranken 
Patienten singt, entsteht eine kulturelle Atmosphäre. Die Routineabläufe der Klinik werden dadurch 
vielleicht zunächst irgendwie "gestört", aber letztlich bereichert, indem nämlich auch eine Entdeckung
der Langsamkeit wieder möglich wird und vor allem Empfindungen wie Zartheit und Behutsamkeit ins 
Bewusstsein geholt werden, die gerade bei schwerkranken Menschen besonders wichtig sind.  Es soll abschließend noch auf aktuelle Bücher zum Thema eingegangen werden. Zum einen hat der 
Psychiater Manfred Spitzer kürzlich ein hochinteressantes Buch mit dem Titel "Musik im Kopf" 
publiziert, (Schattauer Verlag, 2001). Hier werden physiologische und psychologische Wirkungen von 
Musik für das Leben von Menschen profund dargestellt. Zum anderen möchte ich auf ein Buch von 
Karl Adamek aufmerksam machen: "Singen als Lebenshilfe zur Empirie und Theorie von 
Alltagsbewältigung.  Plädoyer für eine erneuerte Kultur des Singens“ (Waxmann Verlag 
Münster/New York, 2. Auflage 1999). Es handelt sich um eine wissenschaftliche Analyse; das 
Buch ist nur für Leser empfehlenswert, die sich gründlich mit diesem Thema befassen 
möchten. Hier geht es um das Singen als Teil der Alltagskultur. Es wird der Nachweis erbracht, 
dass Singen für den Menschen ein Existential darstellt. Leider müssen wir wohl feststellen, 
dass das Singen als eine fundamentale Ausdrucksweise des Menschen unseres Kulturkreises 
weniger zu werden scheint. Wir brauchen eine erneuerte Kultur des Singens. Singen war immer 
schon  "ansteckend".  
Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass Singen die seelische und körperliche Gesundheit 
fördern kann. Singen kann ein Ventil für aufgestaute Emotionen bedeuten. Singen kann eine 
körperliche Energetisierungsstrategie sein, z. B. bei Depressionen oder Schmerzen. Singen 
kann ein Medium der Selbstbegegnung und der Selbstreflexion werden. Singen kann ganz 
einfach Glück bedeuten. Das Gefallen an der eigenen Stimme  kann die Entwicklung der 
eigenen Identität fördern. Leistungsorientiertes Vorsingen in der Schule kann aus diesem 
Grunde schnell gefährlich werden. Singen ist nicht nur wichtig in positiven Stimmungen, 
sondern auch in negativen Stimmungen. Verordnetes Singen kann kontraproduktiv sein und 
traumatische Erlebnisse mit sich bringen. Singen ist zugleich Gesundheitsverhalten. Es fördert 
die Entfaltung des Menschen auf allen Ebenen. Singen ist durch nichts anderes ersetzbar.  
Adamek betont, dass ungefähr die Hälfte seiner Untersuchungsteilnehmer im Elternhaus und 
besonders auch in der Schule traumatische Erfahrungen mit dem Singen machten und ihnen 
so der Zugang zu dieser wirkungsvollen Bewältigungsstrategie und Entfaltungsmöglichkeit 
mehr oder weniger erschwert oder sogar verbaut worden ist. Den Ergebnissen zur Folge sind 
diese Menschen einer Lebensdimension beraubt worden, die sich körperlich, geistig und 
seelisch auswirkt. Kindergärtnerinnen, die schon länger als 20 Jahre im Dienst waren, 
berichteten übereinstimmend, dass im Unterschied zu früher immer mehr Kinder nicht in der 
Lage sind zu singen, weil ihre Eltern das auch nicht tun.  
Allerdings können diese Fähigkeiten auch im Erwachsenenalter jederzeit neu entdeckt und 
weiterentwickelt werden. Hierzu sind geschützte Räume notwendig. Adamek entwickelte ein 
Konzept des "Lauschenden Singens", inspiriert durch Singpraktiken anderer Kulturen.  
Interkulturelle Ansätze scheinen mir heutzutage besonders vielversprechend zu sein. So hat 
beispielsweise in unserer Heidelberger Abteilung für Medizinische Psychologie folgendes 
stattgefunden: Um meine Mitarbeiter für Musiktherapie zu sensibilisieren, bot ich ein halbes 
Jahr lang an, dass alle Mitarbeiter während der Dienstzeit an einem Congakurs teilnehmen 
konnten. Daraus entwickelte sich durch Initiative einer Sekretärin eine Perkussionsgruppe, aus 
der wiederum eine Frauengesangsgruppe "AnaConga" hervorging, die sich zuerst an 
afrikanischen Gesängen orientierte und inzwischen a capella-Gesänge aus aller Welt entdeckt 
hat und mit großer Begeisterung des Publikums aufführt. Das spricht gerade junge Leute oft 
viel mehr an als die klassische Aufführungspraxis. 
Singen ist Teil der humanen Existenz des Menschen im kulturellen  Kontext. Singende 
Menschen bewältigen ihr Leben besser als Nichtsingende. Dies ist empirisch von Adamek 
nachgewiesen worden. Menschen, die über einen positiven Zugang zum Singen verfügen und 
tatsächlich oft viel singen, sind gegenüber denen, die diesen Zugang nicht haben, in Bezug auf 
ihre Alltagsbewältigung im Vorteil und durchschnittlich seelisch und  körperlich gesünder. 
Singen bereitet Freude und kann Erfahrungsbereiche öffnen, die bis in  die spirituelle 
Dimension des Menschen reichen. Singen ist fast jedem zugänglich,  unabhängig von Alter, 
Geschlecht, Bildungsstand usw. Singen ist jederzeit und fast überall möglich. Aber das wissen 
Sie, liebe Leserinnen und Leser dieser Zeilen, ja auch selbst. 

97993 Creglingen - Reinsbronn