Die Stimme erheben
Singen fördert die Gesundheit und zugleich die Karriere
Die positiven Auswirkungen sind psychischer, aber auch körperlicher Natur
Von Swantje Werner
BERLIN Schöner Gesang kann so ergreifend sein, dass den Zuhörern Schauer über
den Rücken laufen. Die eigene Stimme jedoch erleben viele Menschen nur als Mittel
der Informationsvermittlung, das zudem nicht immer zuverlässig funktioniert. Dabei
ist die nötige Musikalität zum Singen weiter verbreitet als viele meinen: „Der Mensch
ist ein Naturtalent“, sagt Karl Heinz Schmitt, Chorleiter und Sachbuchautor aus
Aschaffenburg. Die eigene Stimme zu entdecken und zu genießen ist mehr als
oberflächlicher Zeitvertreib: Singen stärkt die Ausdrucksfähigkeit und fördert
nachweislich persönliches Wohlbefinden und Gesundheit. Nach einer Studie der
Universität Frankfurt mit 31 Laiensängern regt Singen die Produktion von Antikörpern
an, die unter anderem die oberen Atemwege vor Infektionen schützen. Laut
Studienleiter Gunter Kreutz ist Singen gesund – „mindestens ähnlich gesund wie
Meditation, Laufen und leichter, aber regelmäßiger Sport“. Wer regelmäßig singt,
kann Atmung und Sauerstoffversorgung verbessern, den Kreislauf anregen und den
Körper in eine „ausbalancierte Spannung“ versetzen, sagt der Phoniater Prof.
Wolfram Seidner von der Universitäts-Klinik Charité in Berlin. Mindestens ebenso
wichtig aber seien die seelischen Aspekte: Musikalität sei eine „Produktivkraft“, die
auch in anderen Bereichen zu Kreativität anrege. „Es gibt Untersuchungen, die
zeigen, dass Männer und Frauen, die früher musiziert haben, im Beruf die besseren
Teamleiter sind.“Laut Seidner, selbst ausgebildeter Tenorsänger, ermutigt das
Singen dazu, die verschiedenen Nuancen der Stimme zu nutzen und über Sprache
bewusst emotionale Botschaften zu übermitteln. Davon profitiere jeder Sänger auch
im Alltag. Die Logopädin und Sachbuchautorin Eva Loschky aus München hält die
Stimme für das wichtigste Ausdrucksmittel überhaupt. „Jeder, der nicht über die volle
Kraft seiner Stimme verfügt, erlebt dies als Reduzierung seines persönlichen
Ausdrucks und als Einschränkung seiner Lebensqualität.“ Alterung verlangsamen
Weil Singen die Stimme jung hält, profitieren ältere Frauen ganz besonders davon.
„Die Alterungsvorgänge können gebremst werden“, sagt Prof. Seidner, der zahlreiche
Profis in höherem Alter zu diesem Thema befragt hat. Gesungen wird nicht nur in
organisierten Chören, sondern auch in Laien-Singgruppen, die von Musik- und
Volkshochschullehrern oder engagierten Privatpersonen geleitet werden. Von diesen
lockeren Zusammenschlüssen gebe es immer mehr, sagt Peter Lamprecht vom
Chorverband in Köln – wie viele genau, weiß niemand. Der Zeitaufwand für
Hobbysänger ist nicht allzu hoch. Laut Lamprecht vom Deutschen Chorverband üben
die meisten Chöre einmal in der Woche und organisierten ein bis zwei Konzerte im
Jahr. „Notenkenntnisse sind am Anfang nicht wichtig, weil die Stücke mit dem
Chorleiter eingeübt werden.“ Nur in ambitionierten Chören werde dies anders
gehandhabt. Wenn der Leistungsanspruch zu hoch wird, sollten Anfänger sich nicht
scheuen, den Chor zu wechseln.